
Dissoziationsstopp
Dissoziation hemmt Verarbeitung und lässt Neues praktisch verhallen. Daher ist für Menschen in jeglichen, helfenden/ pädagogischen Berufen ein Zugewinn solche Zustände bei Klient:innen erkennen zu können. Nur so kann sich eine tragfähige Beziehung entwickeln und nachhaltiges Lernen und Erfahren in therapeutischen, pflegerischen oder pädagogischen Prozessen ermöglicht werden.
Schritt eins: Dissoziation erkennen
Wenn Menschen dissoziieren, wirken sie wenig erreichbar, abgeschnitten teilweise von allem außen abgelöst. Dies macht sich in einem starren, wenig lebhaften Blick bemerkbar und geht meist mit einer Bewegungsarmut einher. Menschen in (teil-)dissoziativen Zuständen beschreiben auch häufig das Gefühl "Watte oder Nebel im Kopf" zu haben. Häufig kommt es auch dazu, dass Gesagtes wiederholt werden muss oder nicht wahrgenommen wird.
Dissoziation kann verschiedene Bereiche wie Körperempfindungen, Gedanken, Sinneswahrnehmungen betreffen. So kann es sein, das Klient:innen berichten, einzelne Körperteile weniger zu spüren oder sich das Sprechen verlangsamt. Klient:innen erleben sich in solchen Momenten als von sich "abgeschnitten", führen Handlungen teilweise automatisiert aus und können sich häufig dementsprechend nicht mehr an diese erinnern.
Ziel dieser Auflistung soll es sein, Klient:innen auf dem Weg zurück ins bewusste Erleben zu begleiten und aus dissoziativen Prozessen zu lösen. Das Integrieren und Evaluieren von geeigneten Maßnahmen in den Alltag der betroffenen ist Aufgabe der Traumaberatung und -Therapie. Es kann jedoch hilfreich sein, zu verstehen, wie Klient:innen in solchen Situationen reorientiert werden können, insbesondere dann, wenn noch keine traumaspezifische Behandlung begonnen hat.
Beispiel aus der logopädischen Praxis
Johanna, 19, Diagnose: Z.n Glioblastom*
Johanna ist seit mehreren Wochen aufgrund von sprachsystematischen Schwierigkeiten in der logopädischen Behandlung. Sie wirkt im Einzelkontakt aufgeschlossen, kommunikativ sehr engagiert und konzentriert.
Es fällt jedoch auf, dass sich das bei Anwesenheit der Mutter verändert, so dass sich Johanna meist nur teilnahmslos und wenig bis gar nicht sprachlich aktiv zeigt.
Die Mutter erklärt dies mit einer allgemeinen Schüchternheit der Tochter und damit, dass ihre Tochter in kommunikativen Situationen überfordert sei. Mir fällt jedoch auf, dass Johanna in solchen Momenten nicht aktiv zuzuhören scheint, ihr Blick driftet ins Leere, teilweise stellen sich automatisierte Bewegungen ein. Dieses Verhalten war insbesondere dann zu bemerken, wenn Johannas Mutter ausgedehnt über die zahlreichen Krankenhausaufenthalte, Operationen und medizinischen Maßnahmen sprach, die ihre Tochter in der Vergangenheit erlebte.
Besonders herausfordernd wurde die Situation, als ich feststellte, dass Johanna tatsächlich keine Erinnerungen an den Inhalt der Gespräch hatte, in denen ihre Mutter anwesend war. Insbesondere die Hilfsmittelversorgung oder organisatorische Dinge, die im Beisein der Mutter besprochen wurden , konnte Johanna im Nachhinein selten nachvollziehen. Dies barg ein enormes Konfliktpotential, da Johanna den Eindruck hatte, es sei ohne Ihre Einwilligung über diese Inhalte entschieden worden.
Dies hätte auch zur Folge gehabt, dass die Beziehung zwischen mir und der Klient:in geschädigt worden wäre.
Es ist möglich, dass die Erzählungen für Johanna einen Trigger darstellten, die das psychische Erregungslevel massiv in die Höhe schießen ließen. Zu Dissoziieren, um so eine Entlastung von möglichen, damit verbundenen intrusiven Gedanken zu erreichen, scheint plausibel.
Für die Praxis bieten sich hier, neben einem Gespräch mit der Klient:in bezüglich der eigenen Beobachtungen auch Dissoziationsstopp-Maßnahmen an. Diese sollten zum Ziel haben, dass die Klient:in über die gesamte Spanne der Behandlung aktiv am Geschehen mitwirken kann und eine Therapie- und Beziehungsfähigkeit erhalten oder aufgebaut wird. Ebenso bietet sich ein Gespräch mit der Mutter an, um identifizierte Trigger zu besprechen und dahingehend zu sensibilisieren.
* Name und Alter geändert
Schritt zwei: Dissoziation stoppen, heißt stören lernen.
Anmerkung: Ziel der Traumaberatung und -Therapie ist es unter anderem, dass Klient:innen selbst in der Lage sind, Dissoziationsstops durchzuführen und in ihren Alltag zu intergrieren. Die nachfolgende Beschreibung ist aus der Sicht von Helfenden geschrieben und soll einen Zugang zu Klient:innen möglich machen, die sich (noch) nicht selbst aus dissoziativen Zuständen lösen können oder in diesem Prozess Unterstützung benötigen.
Möglichkeiten
1
Transparenz
In dem Betroffene durch den:die Gesprächspartner:in darauf hingewiesen werden, dass sie wenig zugänglich oder "in Gedanken verloren" wirken, können leichte oder beginnende dissoziative Prozesse gestoppt werden. Es ist wichtig im Anschluss Methoden zur Verankerung anzuwenden.
2
Verwirrung
Dissoziierte Personen können auch durch unvorhersehbare Interventionen aus diesen Zuständen zurückgeholt werden, da sich durch plötzliche Veränderungen im Umfeld schneller kortikale Strukturen reaktivieren und der Fokus wieder ins Jetzt zurück gebracht werden kann.
Diese Interentionen sind dann ratsam, wenn bereits eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Helfer:in und Klient:in besteht, da es Irritationen auslöst.
3
Verankern
Reorientieren und Verankern haben zum Ziel, dass sich die:der Betroffene wieder im Hier-und-Jetzt befindlich begreift und erlebt. Der Fokus liegt hierbei auf dem Schaffen von Brücken zwischen der Person und dem Außen. Dies gelingt in dissoziativen Zuständen besonders gut über sensorische Reize (Gerüche, Berührung, etc.).
4
Bewegung
Besonders hilfreich ist das Einbeziehen von Bewegung, da so eine tragfähige Brücke zwischen dem Innen und Außen einer Person errichtet werden kann. Sich selbst und die eigenen (Körper-) Grenzen wieder spüren und wahrnehmen ist hierbei das zentrale Element. Es haben sich Bewegungsübungen als besonders hilfreich erwiesen, die beide Hirnregionen miteinander verknüpfend in Verbindung bringen.
Und dann?
Ist es gelungen, Betroffene wieder aus der Dissoziation zu lösen, bietet es sich an noch einmal basal zu orientieren. Insbesondere dann, wenn die:der Klient:in über einen längeren Zeitraum vom "Jetzt" abgespalten war, ist das Zeitgefühl aus der Bahn geworfen worden.
Es ist also ratsam, zu erklären wie spät es ist und gegebenfalls auch, an welchem Ort und in welcher Situation sich die:der Klient:in befindet.
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Übungen zum Dissoziationsstopp
Diese Zusammenfassung gibt einen kurzen Überblick über die oben beschriebenen Maßnahmen zum Dissoziationsstopp anhand von Beispiel. Weitere Übungen gibt es unter dem Punkt "Reorientierungsübungen".
Erklärung verschiedener Maßnahmen zum Thema Dissoziationsstopp (PDF)